Powerfrauen: Von der Ausnahme zur Normalität

Das Jubiläumsjahr des DMSB ist ein guter Anlass für Rückschau und Ausblick. Denn die vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte waren sportlich wie organisatorisch äußerst vielfältig und spannend – und viele neue Herausforderungen bedeuten, dass es genau so bleiben wird. Dieser Artikel ist ein Teil der Themenreihe „25 Jahre DMSB“. Alle Berichte auf einen Blick finden Sie unter www.dmsb.de/25-jahre-dmsb

Im Motorsport geht es weniger als in anderen Sportarten um die pure Körperlichkeit. Bei der Beherrschung der Fahrphysik und des komplexen technischen Sportgeräts spielt es keine Rolle, ob ein Mann oder eine Frau Gas gibt. Sind spezielle Motorsportangebote für Frauen dennoch sinnvoll? Ja, sagen die Expertinnen – eine von ihnen ist Claudia Hürtgen. Sie ist die einzige Frau, die auf der Rundstrecke gleich mehrere DMSB-Championate gewann, 2003 bis 2005 zur DTC-Siegerin gekürte wurde, 2004 die Deutsche Produktionswagen-Meisterschaft gewann und ein Jahr später den Langstrecken-Meistertitel holte. „Im Breitensport sind spezielle Rennstreckentrainings für Frauen ganz sicher sinnvoll“, sagt die erfolgreiche Rennfahrerin. Sie machte etwa gute Erfahrungen mit Trackdays, die sie für weibliche Teilnehmerinnen organisierte. „Wenn die Mutter auf der Rennstrecke war, ist das natürlich auch ein Signal für die Tochter“, findet sie. Genau auf die Töchter-Generation zielten in der Vergangenheit die Angebote, die der DMSB machte, um weiblichen Nachwuchs für den Motorsport zu gewinnen. „Girls on Track“ und „Dare to be different“ waren zwei erfolgreiche internationale Kampagnen, die hierzulande vom DMSB umgesetzt wurden. Sie sollten auch als Leuchtturm-Projekte in diesem Bereich anregen, sich diesem Themenfeld stärker zu widmen.

FIA-Programm „Women in Motorsport”
Auch anderswo ist die Idee zur gezielten Förderung von weiblichen Talenten im Motorsport längst angekommen. So hat die FIA ein eigenes „Women in Motorsport“ Programm ins Leben gerufen, das auch vom DMSB unterstützt wird. Nach wie vor sind aber Angebote in der Breite noch dünn gesät. Doch benötigt der Prozess auch einfach noch etwas Zeit. Denn erst erfolgreiche Vorbilder machen Mut. Claudia Hürtgen gehört dazu – und ist Teil einer immer größer werdenden Gruppe erfolgreicher Motorsportlerinnen. Das beschreibt etwa auch Katrin Becker-Brugger, die als Co-Pilotin von Philip Geipel 2022 die Deutsche Rallye-Meisterschaft gewann. „Durch erfolgreiche Fahrerinnen und Copilotinnen haben sich viele Ressentiments heute sehr gelegt“, sagt sie. Nachfolgerinnen von Michel Mouton, Isolde Holderied oder Jutta Kleinschmidt gibt es reichlich – auf der Fahrer- und Beifahrerseite. Das gilt auch abseits von Piste und Rennstrecke: Im Nachwuchsbereich für das motorsportliche Ehrenamt ist das gleichberechtigte Wirken längst gängige Praxis und zieht sich inzwischen bis in die Spitzengremien. So ist der Motorsport in der Deutschen Sport-Jungend etwa mit Finanz-Vorstand Kirsten Hasenpusch auf Leitungsebene repräsentiert.

Im Motorradsport sind die Verhältnisse anders
Etwas anders sind die Verhältnisse häufig im Motorradsport, wo das pure Handling der Bikes durch die unterschiedliche Physis der Geschlechter zu Unterschieden führt. Hier sind die Schranken oft höher. „Dass Sportlerinnen es schwerer haben als ihre männlichen Kollegen, ist nicht unbedingt ein reines Motorsportthema, sondern zieht sich quer durch alle Sportarten. Man denke da nur mal an den Fußball“, beschreibt etwa Iris Oelschlegel, die (unter ihrem Geburtsnamen Krämer) zwischen 1998 und 2009 zur Weltelite im Trialsport zählte und zahlreiche Mannschafts- und Einzeltitel holte. Mit eigenen Damenwettbewerben wurden in ihrer Disziplin gute Erfahrungen gemacht – vielleicht ein Erfolgsmodell auch für andere Disziplinen. „Das kann man ganz klein beginnen, einen einzelnen Wettbewerb ausschreiben und darauf nach und nach aufbauen“, beschreibt die Trial-Ikone. Denn genau dieses Hochskalieren praktizierte man im Trial, wo es heute gleich mehrere Weltmeisterschaften gibt. Die Motorsportlerinnen sind damit in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zur sportlichen Normalität geworden – auch wenn sie rein zahlenmäßig noch bei weitem in der Minderheit sind. Oelschlegel ist dafür das beste Beispiel: Sie ist heute, nach dem Ende ihrer aktiven Sportlerkarriere, im motorsportlichen Ehrenamt höchst aktiv und im DMSB etwa als Beiratsmitglied der DMSB-Academy auch in der Sportkommission Motorradsport unterwegs. Zudem vertritt sie den DMSB in einer Reihe internationaler Gremien und Funktionen. Sie weiß: Ohne sportlichen Unterbau funktioniert das nicht. „Notwendig wäre eigentlich, schon auf Landeskaderebene anzufangen und diese paritätisch zu besetzen“. Und wenn sich nicht genügend Mädchen finden? „Dann vielleicht auf die Ausbildung setzen”, so Oelschlegel.

Keine Männerdomäne mehr
Diese Förderung insbesondere auf Nachwuchsebene funktioniert nur dann, wenn sie von vielen motorsportlichen Entscheidungsträgern verstanden und verinnerlicht wird. Sie könnte ein Schlüssel sein, noch mehr Aktive für den Motorsport zu gewinnen. Der Lohn wären dann etwa vollere Starterfelder – denn in den meisten Disziplinen sind reine Frauenveranstaltungen in den höheren Klassen nicht mehr vorhanden. „Persönlich war es mir aber auch immer egal, mit wem ich kämpfe: Sobald ich im Cockpit sitze, möchte ich auch gewinnen“, sagt Claudia Hürtgen dazu. Sie gibt aber auch zu bedenken: „Frauenwettbewerbe können ein Ausgangspunkt sein. Wer sich dort erfolgreich schlägt und Talent beweist, findet anschließend leichter Sponsoren“ – und die sind natürlich einer der Schlüssel für das Weiterkommen. Auch Rallye-Copilotin Katrin Becker-Brugger kennt in ihrem Sport keine Geschlechtertrennung. „Da zählt nur die Leistung“, sagt sie – und mit der haben sich Frauen längst bewiesen: Motorsport ist schon lange keine Männerdomäne mehr.

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